20.12.06

Weihnachtsmärkte, Trost und Rat

In Wien laufen Diskussionen unter BesucherInnen von Weihnachtsmärkten, welcher da nun der Beste sei - meist wird zwischen Weihnachtsmarkt am Karlsplatz und am Spittelberg geschwankt. Am Karlsplatz gibt es nur Kunsthandwerk, und auch nicht jede/r, die/der sowas herstellt, darf einen Stand machen. Ausserdem gibt es Schafe zum Streicheln für die Kinder und diesmal Kutschfahrten mit den größten Pferden der Welt, den Shire Horses. Schon deswegen muss ich mir das mal ansehen, da ich Shires bislang selten in natura, öfter hingegen in Filmen gesehen habe :-)

Die Punschqualität wird längst auch von "Privaten" getestet und dann via Internet bewertet. Mein letzter Karlsplatz-"Test" war letztes Jahr, während ich gerade eben mal das Angebot am Spittelberg verkostet habe. Ich wählte Orangen-Ingwer-Punsch, köstlich aber nicht alkoholfrei, sodass ich es als unverdrossene Radfahrerin bei diesen Test belassen habe. Freilich gibt es als sogenannten Kinderpunsch (anderswo Beerenpunsch genannt) auch etwas ohne Alkohol, doch da fürchte ich immer, dass es mir zu süss ist.

Zwar gefällt mir der Markt am Karlsplatz auch recht gut, das Verwinkelte der alten Gassen am Spittelberg hat aber schon was Besonderes an sich. Neben den traditionellen Ständen gibt es auch immer mehr Keller- und Gassenlokale, die spezielles Weihnachtsangebot haben und wo es neben Kunsthandwerk jede Menge Kitsch und Kram gibt. Das ganze zum Teil so kitschig, dass es schon wieder schön schräg ist - wie ein giftgrüner Plastikweihnachtsbaum in einem der Läden. Wenn jemand eine Menge schöner oder auch origineller kleiner Geschenke sucht, ist dieser Markt sicher der Richtige.

Ausserdem ist er erholsam, wenn man vorher auf dem Rathausplatz war - ich hatte diese Abfolge zwar nicht jetzt, aber vor ein paar Jahren mit Verwandten. Nach dem Gefühl, etwas nicht zu Kitschiges vorm Rathaus fast mit der Lupe suchen zu müssen, bedeutete der Spittelberg, dass man sich eher zurückhalten muss, nicht zu viel zu kaufen. Angenehm ist auch der Markt um das Maria Theresien-Denkmal zwischen den Museen am Ring. Auch dort gibt es, neben dem überall obligatorischen Punsch, Kunsthandwerk, beispielsweise aus Ruanda. Auf jenem Markt versuchte übrigens ein Kapuzinermönch, die Menschen zum Innehalten zu bewegen - er machte auf sich aufmerksam mit einem abgewandelten U-Bahn Schild (U wie Umkehr).

Es war so nett, mit ihm zu reden, dass ich mir von ihm einen "Beicht-Gutschein" geben liess - der gilt allerdings nur für "jeden Katholiken", was auf mich, vom Geschlecht abgesehen, auch deswegen nicht zutrifft, da ich früher evangelisch war und nun offiziell ohne Bekenntnis bin. Ich weiss nicht, ob man sich solche Gutscheine auch im Internet ausdrucken kann, jedenfalls ist auch eine Webseite angegeben. Die Kirche ist übrigens dort, wo man mumifizierte Habsburgerherzen besichtigen kann - bei der Kapuzinergruft am neuen Markt :-)

Nach Beichte war mir nicht zumute - mein Halsschmuck ist ein Pentagramm und kein Kreuz :-). Eher schon machte ich im Stillen Rückschau, als ich über den Spittelberg spazierte, was ich eigentlich bislang nie unbeschwert tun konnte, wenn es Markt gab. Es ist eine Gegend, die für mich mit Erinnerungen verbunden ist und zu bitteren Erfahrungen gehörte. Hier zu sein, bedeutete immer, dies zu unterdrücken und nach aussen hin (mit anderen unterwegs) nichts anmerken zu lassen. Heute kann ich mir dessen bewusst sein UND neben Trauer und anderen ähnlichen Gefühlen auch empfinden, dass ich viel geschafft habe seit damals.

Dies soll anderen zum Trost dienen, da jetzt viele Menschen Bilanz ziehen oder sich in einer ausweglosen Lage wähnen. Ich verlor 1992 alles, da ich politisch unbequem war, schlief im WG-Zimmer meines Bruders und hielt mich mit Schreibarbeiten im Amerlinghaus (am Spittelberg) kurzfristig über Wasser. Zu Weihnachten besuchte ich Verwandte in der Steiermark, war aber dort vor allem zurückgezogen, da ich verarbeiten musste, was ich erlebt hatte, was für einen Menschen allein eigentlich viel zu viel war (andere, die "objektiv" weniger erlebt hatten, litten darunter weit mehr). Und ich schmiedete einen Schlachtplan, wie ich mit dem umgehen wollte, was ich realisiert hatte (erst recht etwas, worüber man mit kaum jemandem reden kann, da die Hintergründe sich auftuende Abgründe waren).

Damals lernte ich, auf mich zu vertrauen und zu wissen, dass ich mir letztlich immer irgendwie helfen kann. Ich hatte einen scharfen Verstand und konnte sehr gut Situationen analysieren und strategisch denken. Jede/r wird andere Stärken haben, auf die sie/er sich besinnen kann. Das Leben ist in so einer Lage sehr klar und intensiv, es ist nicht erstickt in Konsum und dauernden Alltagsanforderungen (wenngleich es schlaflose Nächte macht, nicht zu wissen, wovon man im darauffolgenden Monat leben soll). Ich wäre nie in diese Situation gekommen, wäre ich nicht bereit, Dingen auf den Grund zu gehen oder wäre ich leicht einzuschüchtern.

Nicht wie so viele andere zu sein, beschert einer/einem oft viel heftigere Erfahrungen, steht aber auch für ein intensiveres Leben. DuckmäuserInnen und MitläuferInnen werden niemals das unvergleichliche Bauchgefühl erlebt haben, etwas Richtiges auch gegen grosse Widerstände getan zu haben. (Natürlich redet diese Sorte Mensch oft von "Widerstand", ohne ihn wirklich zu meinen). Ich wusste damals nicht, wie ich einige Jahre später dastehen würde. Ich hatte keine wirkliche Perspektive, keine Langfristplanung, aber es hätte mich wohl getröstet und aufgebaut, mich heute zu sehen.

Natürlich krieg ich nicht alles auf die Reihe, da unterscheide ich mich nicht von anderen. Aber an meinen Kriterien bin ich ganz okay unterwegs. Ich kann den Weihnachtsmarkt nicht leer kaufen, könnte mich (und andere) aber mit der einen oder anderen Kleinigkeit belohnen. Ich kann meine Wohnung nur via Kredit (also letztlich doppelt :-) bezahlen, als Folge der Zeiten mit wenig Einkommen. Aber ich bezahle meine Raten pünktlich, ich kann mich beruflich verwirklichen, ich bin nicht gebrochen. Freilich, wenn ich an das Schlimme einst denke, kann es wie ein Flashback sein, als ob keine Zeit vergangen wäre.

Dann trösten mich auch vierbeinige Gefährten, die sich diese "Aufgabe" offenbar schön aufteilen. Gar nicht zu reden von Gandalf, der ein wahres Geschenk ist, da sich ein frei geborener Kater mir einfach angeschlossen hat und oft schnurrend neben der Tastatur liegt. Liebe Trost- und Ratbedürftige, es gibt auch für euch ein Morgen. Nur macht eines nicht: manche, die Erfahrungen esoterisch sehen wollen, verwechseln ein "Vergeben" als innere Haltung, um sich selbst anderen Dingen zuwenden zu können, mit einer gesellschaftlichen Haltung.

In Eso-Diskussionen tauchen zu meinem Entsetzen auch von Vergewaltigungsopfern Aussagen auf wie "es bringt nichts, Täter zu bestrafen, da dann immer wieder welche nachkommen". Hilfe, was soll das denn?! "Vergeben" muss in solchen Fällen erstens überhaupt nicht sein und zweitens geht es darum, dass das Opfer seine Kräfte auf sich selbst konzentriert und nicht auf nur in Filmen umsetzbare Rachepläne. Das darf nicht damit verwechselt werden, dass die Aussenwelt, also die Gesellschaft, Gewalt rigoros sanktionieren muss.

Mir stellt sich die "Vergebens"-Frage auch ganz konkret hinsichtlich einer Person, die an jener Vorgeschichte beteiligt war, die zum beschriebenen Existenzverlust führte. Freilich war sie schon länger nicht mehr mein Gegner, stand jedoch am Anfang einer Dynamik, die doch so anders hätte laufen können. Erstaunlicherweise dürfte diese Person das auch so sehen - sodass sich gar nach Jahren eine Gesprächsbasis ergeben könnte. Etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte. Obwohl ich wusste, dass ich doch einen gewissen Respekt seinerseits hatte (nach der unerfreulichen Anfangszeit) und meinerseits nie einstimmte, wenn er von den erwähnten MitläuferInnentypen für absolut alles verantwortlich gemacht wurde, was ihnen nicht passte.

Dennoch ist ein Gespräch ein potentielles Flashback - und dass ich das aushalte, weiss ich nach einem Spaziergang quasi in die Vergangenheit über den Spittelberg (diese Methode ist sicher nicht zu empfehlen, wenn traumatische Erfahrungen relativ frisch sind und schon gar nicht, wenn es zu Personen des "Dramas" keinerlei Zugang gibt - dann lasst es bleiben und geht wohin, wo ihr keinerlei Assoziationen habt!). @ Anruf von Kollegin, wir reden über das Thema: Buchempfehlung sind die Werke der Schweizer Psychotherapeutin Verena Kast, unter anderem über Trauern (einfache Übungen, wie man/frau schlimme Situationen und Verluste verarbeiten kann, auch in Seminaren anwendbar)

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