10.05.07

Kalte Tage im Mai

Angeblich soll's heute wieder richtig schön werden, zumindest laut Wetterbericht von gestern. Derzeit, vormittags, ist davon allerdings noch nichts zu bemerken. Der Wind pfeift nur so zwischen den Häusern hindurch, was bei uns immer besonders stark zu spüren ist. Die Bäume wiegen sich im Wind, und mein Blick fällt auf den Eimer, der das Regenwasser der letzten Tage aufgefangen hat. Er ist schon wieder fast voll geworden. Es hat in Wien bis 9. Mai bereits das geregnet, was "normalerweise" im Mai so runterkommt.

Was ist schon "normal" nach dem dürren April? Dennoch sollten wir bei der Medienberichterstattung vorsichtig sein, da diese Extreme sehr liebt, Konsequenzen aber weit weniger. "Keine Zeitung - keine Ahnung" wirbt derzeit der Verband der Zeitungsherausgeber für das Lesen (und besonders wohl: Kaufen) heimischer Printmedien. "Eine Zeitung und trotzdem keine Ahnung" kann man aber vieles übertiteln, was nicht nur in Sachen Klima in letzter Zeit gedruckt wird, wie die Ceiberweiber hier ausführen.

Da wird ein Nestle-Sprecher gelobt, weil er vor Wassermangel warnt, obwohl der Konzern eine grosse Rolle auf dem Weltwassermarkt spielt und versucht, Brunnenwasser zugunsten von Flaschenwasser zu diskreditieren. Profit auf dem Rücken der Armen, wie einst in Sachen Babynahrung statt Muttermilch. Derlei geht an diversen Printmedien aber ebenso spurlos vorbei wie die Tatsache, dass die Mittelmeerregionen nicht wegen trockener Perioden unter Wassermangel leiden, sondern weil dort beispielsweise Erdbeeren für unsere winterlichen Supermarktregale angebaut werden.

Apropos Discounter: gestern sah ich die Wiederholung einer Sendung auf Arte, wo deren Methoden veranschaulicht wurden. Es ging nicht um haarsträubende Bedingungen, die Lieferanten aufgezwungen werden (die bekanntlich selbst für Geschäftseinrichtungen Beiträge bezahlen müssen), sondern um Arbeitsbedingungen. Die Art und Weise, wie (im Film namentlich genannt, aber sicher nicht die Einzigen) Schlecker, Aldi und besonders Lidl mit allermeist weiblichen Angestellten umgehen, erinnert an Berichte über Bordelle, Zuhälterei und Zwangsprostitution.

Damit meine ich nicht alle Details des findigen Umgangs mit Frauen, die selbst nicht sonderlich toll bezahlte Jobs brauchen (wo die Alternativen, wenn vorhanden, ebenfalls nicht viel einbrächten), sondern die verbreitete Atmosphäre. Da wird einer Angestellten bei Lidl, die dafür sorgt, dass Frauen, die 12 Stunden im Geschäft sind, wenigstens kurze Pausen machen können, unterstellt, sie habe geklaut. Zwei Männer, entsandt von der Geschäftsleitung, zwingen sie dazu, eine Art Auflösungsvertrag ihres Dienstverhältnisses zu unterschreiben. Als sie mit dem Handy Hilfe holen will, unterbinden sie dies.

Die Frau klagt wegen Nötigung, ehemalige Angestellte kommen als Zeuginnen und beschreiben, wie sich abzeichnete, dass sie rausgemobbt wird. Die beiden aalglatten Herren, begleitet von teuren Anwälten, die sich der Konzern sehr wohl leisten kann, werden freigesprochen. Nur wenige gehen überhaupt zu Gericht, die meisten resignieren, können es entweder nicht wagen, etwas zu unternehmen, oder ahnen, dass es keinen Sinn haben wird. In einem anderen Fall, bei einem anderen Discounter, wurde eine Frau dazu gebracht, bei einem Notar zu unterschreiben, dass sie für einen behaupteten Diebstahl eines Bekannten aufkomme.

Sie hatte panische Angst und hätte alles unterschrieben, sagt sie den ReporterInnen. Nun stottert sie 5000 Euro ab, was natürlich auch in keinem Verhältnis zum angeblichen Diebstahl steht. Bei Schlecker müssen die Beschäftigten hingegen fürchten, dass Geschäfte ausgeraubt werden, da oft nur eine Angestellte den ganzen Laden schmeisst. Wer damit psychisch nicht fertig wird, kann gehen. Gewerkschaften werden nicht gern gesehen, BetriebsrätInnen gibt es meistens gar nicht - sodass die Discounter unangenehm überrascht sind, wenn sie beispielsweise nach Frankreich expandieren, wo die Gewerkschaften stark auftreten.

Die "harmloseren", uns allen bekannten Dinge, die sich auch in Gesprächen an der Supermarktkassa feststellen lassen, sind da noch die laufenden unbezahlten Überstunden. Selbst Kräfte, die nur nebenbei arbeiten, kommen an jedem Tag im Betrieb auf mehr als eine solche Überstunde. Angesichts teurer Konzernzentralen, teurem Management, teuren Anwälten und dem Vermögen der Besitzer solcher Ketten geht es wohl kaum um die Euros, die sich zusammenläppern, wenn tausende Menschen täglich viele tausende Stunden unbezahlt arbeiten. Es ist wohl eher ein Unterdrückungsinstrument, das sich in diesem Fall vor allem gegen Frauen richtet. Und das längst mehr Empörung ausgelöst hätte, wären in der Hauptsache Männer die Opfer.

Aber Frauen arbeiten sowieso viel unbezahlt - und können aufgrund ihrer schlechteren ökonomischen Position auch weniger wählerisch sein bei Jobs, was sie erpressbar macht. Dies fällt übrigens nicht mal vielen Arbeitslosen-Aktivisten auf, die derzeit via Mailingliste über einen eigenen Preisindex diskutieren, da zumindest gewisse Tarife wie öffentlicher Verkehr doch an die finanziellen Möglichkeiten angepasst werden sollten. Gute Idee - aber ist einem der Herren schon mal aufgefallen, dass Frauen im Durchschnitt 600 Euro weniger im Monat zur Verfügung haben als Männer und dennoch für alles das Gleiche bezahlen müssen?

Aus der deutschen Szene gibt es etwas Amüsantes zu melden: ein Hartz IV-Schnüffler bekam Besuch von den "Überflüssigen", die seine Lebensverhältnisse auskundschafteten. In Deutschland, aber auch bei uns, ist ja keine Massnahme zu aufwändig und zu teuer, die Menschen disziplinieren könnte, welche angeblich nicht arbeiten "wollen". Bei uns kam kurz in Diskussion, hohe Zuschüsse zur Übersiedelung von Menschen zu bezahlen, die in einem anderen Bundesland Arbeit finden. Was mit einer Partnerin oder einem Partner passiert, die/der im Heimatbundesland beschäftigt sind, oder was sein wird, wenn der neue Arbeitsplatz auch mal abgebaut wird, verrieten unsere Politiker nicht. Aber vielleicht ist das ja inzwischen vom Tisch?

Gerne ergehen sich auch diverse Wissenschafter in Zeitungskommentaren darüber, wie sinnstiftend Arbeit doch sei, sodass man den Menschen keinen Gefallen täte, wenn das Sozialsystem zu grosszügig sei. Allerdings handelt es sich bei diesen Kommentatoren um Männer, die selber sehr gut bezahlt werden und weitgehend selbstbestimmt arbeiten können (Unangenehmeres oder Faderes kann mann ja an AssistentInnen und StudentInnen delegieren). Dass es fremdbestimmte Arbeit gibt, bei der ständiger Druck herrscht und wo auch elementare Rechte verletzt werden (siehe Beispiel Discounter), ist ihnen offenbar noch nie in den Sinn gekommen.

In diversen Diskussionen auch bspw. im deutschen TV schwärmen männliche "Eliten" von Billigstjobs und verteufeln Arbeitslose, die sich darauf nicht einlassen wollen. Dass Menschen mit drei Euro Stundenlohn eher verhungern als per Konsum zur Wirtschaft beizutragen, scheint ihnen nicht zu dämmern. Damit wird klar, dass es eine Machtfrage ist: die "Eliten" legen die Arbeitsbedingungen für sich selbst fest (Spitzengehälter, Gratifikationen und Extras, die bis zum Bordellbesuch zwecks Ausbeutung von Frauen gehen) und für andere, die ihnen unterworfen sind.

Jede dieser Debatten liefe ganz anders, stünden den Herren Frauen und Männer gegenüber, die ihre Arbeitsbedingungen ebenfalls selbst festlegen wollen. Eigentlich sollte die Gewerkschaft traditionell so eine Funktion übernehmen - in Österreich nähert sie sich im Schneckentempo der Erkenntnis, dass man Arbeitslose und Atypisch Beschäftigte in die Vertretung einschließen muss. Wahrscheinlich hat man's geschnallt, wenn der letzte der typischen Klientel des stereotypen Stahlarbeiters in Pension gegangen ist.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Die Arbeitsbedingungen bei Lidl sind ja wirklich immer so eine Sache für sich. EIgentlich dürfte man da ja fast gar nicht mehr hingehen, aber einzelne Boykottversuche bringen meiner Ansicht nach überhaupt nichts. Da sollte einfach viel mehr überprüft und auch vom Gesetz her verfolgt und reguliert werden, damit solche Zustände sich gar nicht erst weiter etablieren können.