01.02.07

Frauenhandel / Sudetendeutsche / Zehn Stunden Arbeitstag

Heute fahre ich nach St. Pölten, wo SozialarbeiterInnen die Ergebnisse eines Projektstudium zum Thema Menschenhandel präsentieren. Unterwegs stelle ich fest, dass die NichtraucherInnenabteile im Zug ziemlich voll sind, bei den RaucherInnen hingegen etwas mehr Platz wäre. Es geht auch so, schließlich breiten sich vier Menschen auf sechs Sitzen aus - und die Reise dauert ja nur kurz :-)

Immer wieder fallen umgeknickte Bäume auf, bereits beim Lainzer Tiergarten, wo eine Menge offenbar den Stürmen nicht trotzen konnte. "Stürme" kann man inzwischen schon im Plural verwenden, denn auch gestern nacht heulte es draußen wieder gewaltig. Ich wurde am Heimweg aus der Stadt (per Rad und bergauf) immer wieder von Böen eingebremst. Eine Mischung aus Hunger innen und Wind außen verursachte Kopf- und Magenweh. Beides zusammen verschwand zuhause allmählich, dank Futter und entspannendem Bad. Auch die Katzen taten das Ihre, denn sie kehrten, wie ich es mir insgeheim wünschte, geradezu im Gänsemarsch vom kleinen nächtlichen Ausflug heim (statt dass ich immer wieder aufstehen und die Türe zum Garten öffnen muss).

Immer, wenn ich durch Landschaften reise, versuche ich mir vorzustellen, wie es wäre - am Land zu leben, in einer Kleinstadt, in einer etwas größeren, aber immer noch im Vergleich zu Wien kleinen Stadt. Nunja, ich spaziere dann durch St. Pölten, durch die Fußgängerzone zum Regierungsviertel, bin überpünktlich und finde bald eine Antwort auf "was wäre, wenn....". Bei der Veranstaltung (Bericht wurde eben Ins Netz gestellt - bin ich heut aber fleißig :-) ging es auch um Kinderhandel und eine Jugendbetreuerin, die als Gast den Präsentationen der StudentInnen lauschte, wollte wissen, wo "man" denn solchen Kindern begegne.

"Hab ich heute morgen in der U-Bahn gesehen", meine ich irgendwie abgeklärt. Und erläutere es: "Da war ein Bub, der hat Harmonika gespielt, aber keiner hat ihm was gegeben, die Leute wissen auch, dass Betteln in der U-Bahn verboten ist (und ich hab' heute auch Durchsagen dazu gehört). Dann ging noch eine junge Frau herum, mit einem Baby auf dem Arm, die war ganz zart, ich könnte nicht sagen, ob sie unter oder über 18 ist", somit könnte sie einer der Fälle sein, wo das Opfer in Österreich als Kind gilt. In St. Pölten laufen jedenfalls keine Buben mit Musikinstrumenten herum und quatschen Passanten an.

Ich denke, da haben wir auch den Unterschied zwischen Großstadt und anderen Umgebungen - am Einkaufen liegt es sicher nicht, denn wenn ich was von Thalia oder H & M brauche, könnte ich das auch beim Besuch in St.Pölten besorgen. Das Komische ist, obwohl ich eher an der Peripherie Wiens lebe, obwohl mir das Gewimmel in der Innenstadt oft gar nicht abgeht, wenn ich es nicht dauernd habe - anderswo zu sein wäre auch nicht vorstellbar....

Nach der Veranstaltung eile ich mit einer Bekannten zum Zug, wobei wir zufällig genau vor der Abfahrt eines IC Richtung Wien unsere Tickets kaufen. Unterwegs ruft mich ein Fremder an und kritisiert mich wegen meiner Anmerkungen zu Straches "Ehrenerklärung", da ich die Sudetendeutschen eben nicht als die größten Opfer des Zweiten Weltkrieges sehe. Ich bin erstmal baff und verweise dann auf das Buch von Peter Glotz, "Die Vertreibung", das ich wohl kenne und schätze, ABER: es ist klar, dass ein unterdrücktes und dann befreites "Volk" diejenigen, von denen es befreit wird, nicht mit Samthandschuhen anfaßt.

Für den "Sudetendeutschen" zählt jedoch die Vorgeschichte nicht, auch nicht Ursache, Wirkung und chronologische Abläufe, nein, das vordringliche Opfersein darf nicht bestritten werden. Diese Opfer sind auch Täter, sage ich, mir sind die Opfer wichtiger, die uneingeschränkt Opfer sind. Und von denen ist bei Strache nicht die Rede, ich kenne keine Erklärung, die dem entspricht, was andere sofort und ohne nachzudenken über die NS-Zeit sagen. Irgendwann wird mir (am Handy diskutierend und uns Richtung Bahnhof lotsend) auch die Absurdität der Situation bewußt: muss ich mich per Telefon von einem Fremden überfallen lassen, zu einer Zeit, die er bestimmt, und überhaupt: ich stehe im Telefonbuch, aber sicher nicht, um ungebeten anagitiert zu werden.

Meine Begleiterin gibt mir recht, obwohl/weil sie "Sudetendeutsche" ist (wie ich auch, jedenfalls teilweise). Ihr Großvater war bei der SS, wurde erschossen, ihr Vater kam zu tschechischen Pflegeeltern, wurde stigmatisiert, was er auch an seine Tochter weitergab. Ihr war, als Deutscher, allerdings auch nicht alles möglich, sie konnte nicht werden, was sie wollte, und stand wie ihr Vater unter Beobachtung durch den Staat, wie sie erst später realisierte. Wir stimmen überein, dass man sich nicht an Kindern rächen darf, aber Erwachsene zur Verantwortung ziehen muss. Ich erinnere mich an einen Film, den ich vor zwei Jahren gesehen habe, kurz nur und in Schwarzweiß, von einem amerikanischen Soldaten gedreht, der später Regisseur wurde. Er zeigte die Befreiung eines KZ im "Sudetenland", wo Leichen in Schuppen gestapelt waren und die Amerikaner zuerst nicht fassen konnten, dass ihnen apathische, ausgemergelte Überlebende begegneten - den Soldaten waren Konzentrationslager bislang kein Begriff.

Nicht aber den Sudetendeutschen: ich deute auf einen Platz unterwegs, um zu illustrieren, wie nahe der Zaun des KZ an den Siedlungen war. Sie hörten, sahen und rochen, was vor sich ging, und sie unternahmen nichts (und auch ihre Nachkommen werden die Vertreibung der armen Sudetendeutschen betrauern). Die Amerikaner zwangen die Honoratioren des Dorfes, die Leichen anzukleiden und würdig zu bestatten, und diese beugten sich, weil sie sonst gelyncht worden wären.

Vor zwei Jahren, als Strache beim Burschenschaftergedenken am 8. Mai (Tag des offiziellen Kriegsendes) sprach und das Gleiche sagte wie heute, schrieb ich beispielsweise über unseren Umgang mit Auschwitz (60. Jahrestag der Befreiung damals) und meine das Gleiche wie heute. "Fuller hieß der Typ", erinnerte ich mich, und habe Recht, da ich im Text Auschwitz und wir darauf eingegangen bin (der damals sehr viel gelesen wurde....). Es handelte sich um das KZ Falkenau in der Nähe von Cheb/Eger - daher stammt meine Bekannte und aus dieser Region kommen auch ein paar meiner Vorfahren.

Eine Gegend, die niemandem so recht Glück gebracht hat übrigens: nach der Vertreibung der Deutschen wurden Roma an der Grenze angesiedelt, die massiv unterprivilegiert waren. Heute blüht der Handel mit Frauen und Kindern sowie die Prostitution allgemein, da Männer aus Deutschland regelmäßig für Sex-Wochenenden kommen. Aber wenden wir uns kurz den Aussagen um den Auschitz-Gedenktag 2005 zu: damals beweinten Andreas Mölzer und Co. die armen Bombenopfer und natürlich die vom Schicksal so hart bestraften Sudetendeutschen. Offenbar, so der Sudetendeutsche am Telefon, unter der Annahme, dass ja sowohl die Deutschen in Tschechien als auch die Österreicher (die selbstredend auch alles Deutsche waren) Hitlers Opfer waren. Woher kommt aber dann der hohe Prozentsatz an Tätern unter diesen "Opfern", an Tätern gegen ihre Landsleute, sofern sie a) jüdisch, b) slawisch c) keine Nazis waren?

@ Arbeitszeitregelungen: Als prima Errungenschaft von Regierung und Sozialpartnern wird uns verkauft, dass fortan zehn Stunden als Normalarbeitszeit gelten. Jemand, der/die in Fragen der Gewerkschaftsgeschichte mehr bewandert ist als ich möge hierzu konkrete Angaben liefern, aber ich meine mich zu erinnern, dass es doch recht lange her ist, als es noch den Zehnstundentag gab. Haben wir zuviel Arbeit und keine Arbeitslosen? Sind alle Frauen so in Beschäftigung, wie sie es sich wünschen? Gibt es keine atypisch Beschäftigten mehr, denen man Sicherheit und ausreichendes Einkommen verschaffen sollte?

Sicher ist, dass hier traditionelles Denken fortgeführt wird, dass die gesellschaftliche Verteilung von Erwerb nicht berücksichtigt wird. Auch nicht die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: vereinfacht gesagt kann ich z.B. 60 Stunden Arbeit pro Woche zwischen Mann und Frau so aufteilen: beide arbeiten 30 Stunden und verdienen das Gleiche oder einer arbeitet 50 Stunden (bisher 40) und die andere 10 (bisher 20). Der eine verdient fortan fünfmal mehr als die andere statt "nur" das Doppelte. Vielleicht soll aber "sie" auch mehr arbeiten? Ja, haben wir zuviel oder zuwenig Arbeit? Eben - vorhandene Arbeit wird umverteilt, zu Gunsten jener, die ohnehin bereits einen Vollzeitjob haben. Wobei sie drum nicht zu beneiden sind, nun dank 10 Stunden "Normalarbeitszeit" den ganzen Tag zur Verfügung zu stehen. Andererseits muss jemand all das verrichten, was trotzdem anfällt - sodass sich Frauen wieder mehr um Haushalt und Kinder kümmern "dürfen" nach Zeiten der Hoffnung, dass sich Männer hier mehr einbringen...

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